"In der Tarentaise starten, oder doch lieber in der Maurienne?
Links herum oder rechts herum? Die kleine
4-Tage-Runde - oder nehmen wir uns eine ganze Woche Zeit?"
Das sind auch schon die essentiellsten
Fragen, die es im Vorfeld dieser Wanderung zu beantworten gilt. Alles
andere ergibt sich (Kartenmaterial und guten Wanderführer vorausgesetzt) quasi von selbst, dank ausgezeichneter Wege, die streckenweise
über die großen' französischen Wanderwege GR 5
und GR 55 verlaufen, und einem für uns ganz ungewohnt dichten Netz
bewirtschafteter Hütten. In denen es ganz selbstverständlich
ist, dass - auch auf über 2.500 Meter Höhe - jeden Spätnachmittag
der aktuelle Wetterbericht für die nächsten Tage angeschlagen
wird.
Aber Vorsicht: wer
nun daraus sofort auf Wanderautobahn' schließt, liegt schwer
daneben! Auch wenn man zwischendurch - jedenfalls in der französischen
Ferienzeit - recht vielen Tagesausflüglern begegnet, geht es doch
auf knapp 3000 Meter hinauf, was schnell auch in einsame Regionen führt.
Wer unnötigen Trubel vermeiden möchte,
wählt das ruhige Termignon in der Maurienne
als Ausgangsort und entscheidet sich für den Gegenuhrzeigersinn
als Wanderrichtung - löst sich damit aber auch von den offiziellen
Wandervorschlägen. Und nimmt sich eine Woche Zeit, um genug Muße
zu haben, den einen oder anderen lohnenswerten Abstecher einzulegen.
Die Etappe R 123 der Via Alpina führt
hinauf zur Plan du Lac, einem der offiziellen Tore' zur inneren,
besonders geschützten Zone des Parc National de la Vanoise. Weiter
geht es über die mittelalterliche Pont Croe-Vie: Zwischen Pralognan
und Termingnon verlief einst über den Col de la Vanoise eine jener
veritablen Handelsstraßen, auf denen Salz aus den Salinen von
Moûtiers in die Maurienne geliefert wurde.
Vorbei an Relikten der französischen
Alpen-Maginotlinie, großen Moränen und kleinen Gletscherseen
führt der Weg zum Refuge du Col de la Vanoise - direkt unterhalb
der Grande Casse, mit 3.855 m höchster Gipfel des Nationalparks.
Am 8. August 1860 gelang William Matthews
und Michel Croz deren Erstbesteigung.
Von dem Engländer, der den Anstoss zur
Gründung des legendären 'Alpine Club' gegeben haben soll,
erzählt man sich, dass ihn nur ein dummer Kartenfehler in die Region
gebracht hätte. Auf der Suche nach dem 'Mont Iséran', der
mit 4.045 m verzeichnet war, mußte Mathews 1859 feststellen, dass
der 'Mont Iséran' kein Gipfel sondern ein Pass ist, dazu zwar
nicht gerade niedrig - aber eben auch nur 2.770 m hoch!
Nun hat das Vanoisemassiv zwar keinen einzigen Viertausender aufzubieten,
aber doch eine Vielzahl von Dreitausendern. Dafür, dass Matthews
dann nicht lange fackelte und sich gleich an die Besteigung des höchsten
Berges machte, ist ein Nebengipfel der Grande Casse nach ihm benannt
worden.
Hinter dem Col de la Vanoise
beginnt der Abstieg hinunter nach Pralognan, das schon zur Tarantaise
gehört - und als der klassische Startpunkt der 'Tour des Glaciers'
gehandelt wird. Für unseren Geschmack zu trubelig, verschafft einem
dieser Umstand aber bei Bedarf den Vorteil, ein kleines Wegstück
auf eine 'mechanische Abstiegshilfe' zurückgreifen zu können.
Also am besten gleich durch und weiter Richtung Chavièretal
unterhalb des Glacier du Génepy. Seit dem 12. Jahrhundert Alpgebiet,
was schon die Mönche von Pralognan dazu veranlasste, bei La Motte
eine kleine Kapelle zu errichten, gibt es dort heute nur noch wenige
Höfe. An denen kann man sich aber mit frischen Milchprodukten eindecken.
Stärkung kann auch nicht schaden vor dem Aufstieg hinauf zum Col
d'Aussois (2.916 m). Und wer hier oben angekommen ist, muss einfach
noch ein kleines Stückchen weiter zu Pointe de l'Observatoire (3.015
m), einem dieser leicht zu besteigenden Gerade-mal-Dreitausender mit
grandioser Aussicht, die sich entlang der Strecke finden lassen.
Aber eigentlich wäre es ungerecht,
ein einziges Panorama hervorzuheben. Und wir hätten lang zu tun,
alle Gipfel und Gletscher aufzuzählen, die diese Rundwanderung
prägen. Vom wunderbar gelegenen Refuge de La Dent Parrachée
- über den Liegestühlen wehen bunte Gebetsfahnen - fällt
der Blick dann zur Abwechslung auf Wasser, recht viel Wasser sogar:
die beiden in den frühen 50-er Jahren errichteten Stauseen Plan
d'Amont und Plan d'Aval.
Seit dem Col d'Aussois wieder in der
Maurienne, geht es weiter Richtung Refuge de l'Arpont. Und bevor man
von dort einen kleinen Abstecher hinauf zum Lac d'Arpont unternimmt,
sollte man sich das dort aufgehängte Foto des Sees gut einprägen.
Wie weit sich der Gletscher innerhalb weniger Jahre zurückgezogen
hat, läßt sich so gut erkennen!
Leicht schwindelerregende Blicke hinunter
ins Arctal, große Blockfelder und die Moränenlandschaft des
Glacier du Pelve mit den Lacs des Lozières - Kaulquappen und
Frösche in den Seen, viel Scheuchzers Wollgras daneben - bis man
schlußendlich wieder an den Ausgangspunkt der wirklich lohnenswerten
Wanderung gelangt.
Neben der hier beschriebene 'kleinen Runde' um die Vanoisegletscher beinhaltet unser Wanderführer natürlich auch die 'große Runde' incl. einiger zusätzlicher Abstecher.
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