Es muss ja nicht immer auf knapp 3.000 Meter hinauf gehen. In
früheren Jahrtausenden suchten sich Reisende, Händler, Pilger
und Heerführer schließlich auch stets die einfachste Route,
um Alpenzüge zu überqueren, nutzten die Talwege, oder, wenn
diese versumpft waren, Pfade, die sich an den Hängen entlang zogen.
So einen Hangweg gibt es auch in der
Haute Maurienne. Er führt von Bonneval-sur-Arc bis nach Modane,
ist eher ein Spazierweg und dennoch aufgenommen in die Riege der großen
französischen Weitwanderwege der Sentiers de Grande Randonnée'.
Statt von Hütte zu Hütte auf dem legendären GR 5, der
Grande Traversée des Alpes', durch die Haute Maurienne
zu wandern - zwar mit großartigen Fernblicken und Einsamkeit belohnt,
aber ohne Kontakt zur Bevölkerung, deren Tradition, Kultur und
Lebensart - kann man es auf dessen Talvariante, dem GR 5E Chemin
du Petit Bonheur', auch gemächlicher angehen lassen.
Der Chemin beginnt unterhalb des Col d'Iseran
in Bonneval-sur-Arc, wo es dem früheren langjährigen Bürgermeister
Gilbert André, einem der Gründerväter' des Parc
National de la Vanoise, gelungen ist, abstoßende Retortensiedlungen
zu verhindern und der Bevölkerung dennoch ein Auskommen zu verschaffen.
Wo man sich bereits für sanften Tourismus einsetzte, bevor dieser
Ausdruck zum Schlagwort wurde, prägen heute pierre, bois
et lauzes' das Ortsbild. Immer in der Nähe des Arc spazierend gelangt
man nach Villaron, wo man sich vielleicht zu einem Abstecher hinauf
nach Avérole und weiter zur dreitägigen grenzüberschreitenden
Rundwanderung Tour de la Bessanese' entlang früher rege genutzter
Saum- und Schmugglerwege inspirieren läßt. Zwischen Bessans
und Lanslevillard könnte man auch aufsteigen zu den - wohl ein
klein wenig überschätzten - Pierre aux Pieds, jenen kleinen
Fußabdrücken' im Fels auf 2750 Meter Höhe, über
deren genaue Herkunft noch immer gerätselt wird. Weiter über
Lanslebourg gelangt man nach Termignon, einem feinen Einstiegsort in
die Tour des
Glaciers de la Vanoise'.
Ab hier entspricht der Chemin du Petit Bonheur
nun auch dem roten Weg der Via Alpina. Über Bramans, dem Zugang
zum Val d'Ambin, geht es weiter, über dem St-Pierre-d'Extravache,
die älteste Kirche Savoyens thront. A propos thront': kurz
darauf hat man den wohl prachtvollsten Ausblick auf die Barrière
d'Esseillon. Die aus fünf Festungsbauten bestehende Anlage, die
wie ein riesiges tibetanisches Kloster wirkt, wurde zwischen 1819 und
1834, als die Maurienne wie ganz Savoyen noch zum Königreich Piemont-Sardinien
gehörte, als Sperranlage errichtet. Dank der gewaltigen Reparationszahlungen,
die Frankreich nach dem Sturz Napoléons auferlegt worden waren,
konnten es sich die Piemonteser erlauben, ihre Grenzen gegen einen erneuten
Angriff Frankreichs wirksam zu schützen. Motto: in jedem Tal ein
Fort!
Über den kleinen Skiort La Norma
gelangt man nach Modane - und damit an das Ende des Chemin, auf dem
man innerhalb von zwei Tagen ganz gemütlich in Talnähe durch
die Haute Maurienne spazieren kann.
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