Kürzlich lasen wir in einem der wenigen deutschsprachigen Reiseführer,
die sich dem Piemont und seinen Westalpentälern widmen, das Susatal
sei westlich der Sacra San Michele "etwas öde, einzig Susa,
die römische Aussenstelle nach Frankreich, lohnt einen Besuch".
Nun ja, das circa 70 Km lange Tal der Dora
Riparia wird zwar von der Autobahn A32, gleich zwei Staatsstraßen
und der Eisenbahnlinie durchzogen. Aber abgesehen von der Tatsache,
dass es mit der 'Alta
Via Val di Susa' einen spektakulären
Höhenweg und mit dem Rocciamelone den höchsten Wallfahrtsort
der Alpen - Superlativ, wem Superlativ gebührt! - aufzuweisen hat,
gibt es doch nach unserer Meinung noch weit mehr zu entdecken.
Beginnen aber auch wir mit den Römern, beziehungsweise
dem überaus geschickten König Donnus, der den Krieg mit den
Römern ausfallen ließ und sich stattdessen freiwillig unterwarf
- und damit den Weg über die Alpen freimachte. Sein Sohn Cotto,
der sich dann als Neu-Römer auch gleich Marcus Julius Cottius nannte,
ließ 9-8 v. Chr. den Augustusbogen bauen, in dessen Fries die
Namen der 14 Stämme, die ihm unterstanden, festgehalten sind. Die
Straße, an der auch das 'Ocelum' liegt, das Cäsar in seiner
Schrift 'Über den Gallischen Krieg' beschreibt, und die Turin über
den Mongenèvrepass mit Embrun verband, führte später
durch dieses Tor.
Der ebenfalls noch erhaltene Aquädukt war die
Zuleitung für die Therme von Gratian, wurde
erst 1834 bei Ausgrabungen wiederentdeckt und stammt - wie die Porta
Savoia, einem Torbau mit viergeschossiger Fassade - aus dem 4. Jahrhundert.
Die Augustusstatue ist hingegen eine Nachbildung.
Pilger haben das Susatal vor
allem durch die für sie hergestellte Infrastruktur geprägt.
Hospize und Klöster wie die Abtei von Novalesa,
das 1029 gegründete Kloster San Giusto in Susa, die Certosa di
Montebenedetto, die weithin sichtbare Sacra San Michele auf dem Monte Pirchiriano (962m) und San Antonio di Ranverso liegen
an der Strecke, die Pilger auf ihrem Weg nach Rom oder Santiago de Compostela
vorzugsweise über den Mont-Cenis-Pass führte. Sie trugen dem
Tal den Beinamen 'Tal der Klöster' ein.
Wer ein Stück auf diesem Weg gehen möchte, kann das auf einem
netten Wanderweg, der auf zum Teil historischer Mulattiera von Grand
Croix hinab zur im 8. Jahrhundert gegründeten Abbazia di Novalesa
führt.
Auch als das Herrscherhaus Savoyen
seinen Sitz von Chambéry nach Turin verlegte, erfolgte
der Umzug wohl über diese alte Pilgerroute. Im Gepäck hatte man
den 'Sidone', die heute 'Turiner Grabtuch' genannte durchaus umstrittene
Reliquie. Entlang des Umzugsweges finden sich an alten Häusern
noch Nachbildungen, die aufzeigen, wie sich die Menschen dies Leichentuch
vorgestellt haben.
Später hätte man diesen
Weg - wenigstens für kurze Zeit - auch mit der Eisenbahn zurück legen können. Zwischen Saint-Michel de Maurienne und
Susa verkehrte die 'Fell-Bahn'. Diese Eisenbahnlinie überwand den
2.084 Meter hohen Col de Mont Cenis mit Hilfe eines speziellen, nach
dem englischen Ingenieur John B. Fell benanntem, Adhäsionssystem.
Die kleinen Tunnel, die man auch heute noch entlang der Passstraße
von Gran Croix nach Susa findet, wurden für diese Bahn gebaut.
Nach nur drei Jahren wurde der Betrieb der Fell-Bahn 1871 bereits wieder
eingestellt, als die neue Eisenbahnlinie durch den Fréjustunnel,
viel früher als geplant, eröffnet wurde. Großes Vergnügen
dürfte die Fahrt ohnehin nicht bereitet haben, wie der Bergsteigerpionier
Edward Whymper in seinem Buch 'Berg- und Gletscherfahrten' zu berichten
weiß: "Die Maschine zittert, schwankt, springt und ist schwer
zu halten. Taucht man wieder im Freien auf, so sieht man 3000 bis 4000
Fuss in Abgründe hinab. Im nächsten Augenblick wendet sich
die Maschine plötzlich nach links, und Führer und Heizer müssen
sich sehr fest halten, um nicht heraus geschleudert zu werden. Die mutigen
Lokomotivführer, die alle Engländer sind, haben am Ende der
Fahrt ihr Geld ehrlich verdient. Wie sie über die Linie denken,
erklärte mir einer kurz und bündig: "Es ist hier schlimmer
als in Indien, denn dort kann man herunter springen, aber hier in diesem
bedeckten Wegen gibt es keinen Platz dazu.""
Es gäbe noch Vieles mehr
zu erwähnen aus dem Susatal: Das von der Region Piemont
und dem Museo Nazionale della Montagna gemeinsam betriebene Museum im
Forte di Exilles, wo wir wirklich beeindruckende Licht-Installationen
fanden, den knapp 11.000 ha großen Parco Naturale Orsiera Rocciavrè
mit schönen Wanderwegen, die Galleria Colombano Romean (oder auch:
Pertus), dem im 16. Jahrhundert mit bloßen Händen innerhalb
von sieben Jahren gegrabenen 600 Meter langen und (heute noch zu besichtigenden)
Tunnel, der benötigt wurde, um die Felder der Weiler Cels und Ramats
mit Wasser zu versorgen, usw.usw.usw..
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